„In Österreich gibt es keine Ölfelder. Wenn wir international wirtschaftlich bestehen wollen, sitzt unsere Hauptquelle dafür zwischen den Ohren“, konstatiert Univ.-Prof. Dr. Aljoscha Neubauer vom Institut für Psychologie der Karl-Franzens-Universität Graz. „Die Begabungsförderung ist bei uns allerdings stark unterentwickelt, damit untergraben wir unser Erfolgspotenzial.“ Wie man Talente erkennt und zur Entfaltung bringt, fasst Neubauer gemeinsam mit seiner Schweizer Kollegin Elsbeth Stern in seinem jüngsten Buch zusammen: „Intelligenz. Große Unterschiede und ihre Folgen“, erschienen in der Deutschen Verlags-Anstalt.
Genetische Komponente
Talente sind teilweise angeboren, entfalten sich aber nur dann, wenn sie entsprechend gefördert werden. „Das heißt noch lange nicht, dass schwächere SchülerInnen deshalb unter die Räder kommen“, betont der Psychologe. Die Untersuchungen der AutorInnen haben gezeigt, dass unterschiedlich begabte Kinder in derselben Weise von einem qualitätsvollen Unterricht profitieren – sich das Wissen allerdings nicht gleich schnell aneignen.
Individuelle Förderung
In der Schule sollte das gesamte System flexibler und durchlässiger sein, schlägt Neubauer vor. „Klassen zu überspringen funktioniert aktuell nur in wenigen Ausnahmefällen. Außerdem brauchen besonders Begabte zusätzliche Angebote.“ Diese gebe es zur Zeit viel zu wenig – mit der Folge, dass talentierte Kinder bildlich „verhungern“, als hyperaktiv abgestempelt werden oder überhaupt das Interesse am Lernen verlieren. Altersgemischte Gruppen sieht der Experte als ideale Schulform an: „Kinder bis 15 Jahre könnten von den gleichen Lehrpersonen im gleichen Haus unterrichtet werden – und dabei Spitzenleistungen erbringen.“ Die Schule muss die Lernmotivation aller SchülerInnen fördern, mit auf die jeweiligen Talente abgestimmten Angeboten. „Vom ersten bis zum letzten Unterrichtstag sollte jedes Kind sowohl Erfolgserlebnisse haben, als auch seine eigenen Grenzen kennen“, unterstreicht der Psychologe. Umzusetzen wäre das beispielsweise mit Anregungen zum sinnstiftenden Lernen: Die SchülerInnen erarbeiten sich Themen selbst unter der Anleitung der Lehrperson, aber im individuellen Tempo.
Bessere Ausbildung
Um Kinder und Jugendliche ausreichend unterstützen zu können, braucht es auch die entsprechende Schulung der Lehrenden. „Hohe fachliche Kompetenz und pädagogisches Sendungsbewusstsein sind Voraussetzungen“, ist Neubauer überzeugt. Aufnahmetests für die Ausbildung hält er daher für sinnvoll. Mit der soeben beschlossenen Reform der LehrerInnenbildung soll zumindest das Erkennen und Fördern von Begabungen Teil des Studiums sein.
Weitere Forschungen
Welche Fördermaßnahmen für SchülerInnen wie wirken, wurde bereits in zahlreichen empirischen Studien untersucht, ihre Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung sind aber noch völlig unerforscht. Hier möchte Neubauer anknüpfen und innerhalb des Schwerpunkts „Gehirn und Verhalten“ einen neuen Fokus auf die neurophysiologische Komponente menschlicher Spitzenleistung an der Karl-Franzens-Universität etablieren.